For the English version switch the page to English! Anmerkung: Ausnahmsweise ein Blog Artikel auf Deutsch, da ich den Text für das FRB Festival Open Mic Event geschrieben habe. Für alle die dort waren (und auch alle die nicht waren) und nach dem Text gefragt haben. Hier ist mein Beitrag noch einmal in Schriftform. Übrigens: das FRB Festival war das erste echte Parkour Festival und es war überkrass, milde gesagt. Ein ganz großes Ding.
Open Mic. Große Gefahr. Sehr große Gefahr. Die Gefahr unlustig zu sein. Oder um es anders auszudrücken: die Gefahr andere zu langweilen. Ich setze mich jetzt dieser Gefahr aus, denn ganz im Gegensatz zu euch, habe ich im schlimmsten Fall nur einen Nervenkitzel. Und Nervenkitzel ist besser als Langeweile. Warum eigentlich? Was ist eigentlich der Unterschied? Ich würde einfach ganz simpel sagen: Beim Nervenkitzel passiert zumindest etwas, bei der Langeweile passiert halt nix. man ist halt einfach nur da. Es ist als ob das „Dasein“, das Existieren an sich noch nichts ist. Es ist eher nur eine angebliche Sache, ein Mythos, nichts was wirklich relevant wäre. Das Existieren ist eher so ein lamer Rahmen, den es erst mit aufregenden Schmankerln zu füllen gilt! Der Teller auf dem man isst und den man danach nervig abwaschen muss, damit man wieder darauf essen kann. Von der Lameheitsstufe ist für uns Existenz auf ähnlichem Level wie Bürokratie oder Zähneputzen. Das sind eigentlich passende Beispiele, denn Bürokratie und Zähneputzen sind ja beides selbst Dinge, die man nur tut um dieses Dasein aufrechtzuerhalten, um es dann eben mit aufregenden Etwassen füllen zu können. Also halten wir fest: unser Verhältnis zum Dasein ist wie unser Verhältnis zum Nichts. Nichts ist tendenziell ein negativ behaftetes Wort. Wenn hier einer gefragt wird was er gestern getan hat und er darauf antworten muss: „Nichts“, dann ist da ein beklemmender Beigeschmack von Schuld. Als ob man versäumt hätte ein Etwas zu erleben. Aber es geht auch anders. „Einfach mal Nichts tun.“ ist ein Satz, den man immer wieder hört. Denn danach sehnen sich die meisten die einer normalen Arbeit nachgehen… also niemand hier. Hier findet eine interessante Umkehrung statt. Also ganz im Gegenteil zu den meisten hier im Publikum, wird das Etwas nicht über Aktivität, Action definiert, sondern Aktivität scheint das nervige Nichts zu sein, während das „Nichts tun“ das Etwas ist, das den nervigen Alltag, die bürokratische Existenz erhellen soll. Menschen haben also verschiedene Definitionen von dem was sie als Etwas, und was sie als Nichts empfinden. Und dem entsprechend sieht ihr Leben völlig verschieden aus. Während manche das Etwas sehr objekthaft sehen und nach materiellen Gütern streben, z.B. einen Ferrari, ein schönes Haus, etc. jagen andere eben nach Erlebnissen und Aktivitäten. Das sieht etwas weniger objekthaft, etwas weniger materialistisch aus. Aber man kann Actions auch als begrenzte Objekte sehen: eine gewisse Kombination aus Handlungsabläufen in Raum und Zeit mit einem definitiven Anfang und einem definitiven Ende - wie ein Objekt. Dieses Objekt steht im leeren Raum, im Nichts sozusagen. Und der Action Hunter jagt diesen abgepackten Raum-Zeit Paketen nach, so wie ein Dagobert Duck den Geldsäcken. Aktivität als Konsumgut quasi. In solchen Kreisen der Hyperaktiven ist auch der eher altbackene begriff „Yolo“ und das etwas modernere „Fomo“ bekannt. Zwei Begriffe die eng miteinander verknüpft sind und eigentlich nur die Furcht vor dem Nichts ausdrücken. Yolo spricht sich dafür aus so viele Etwasse wie möglich in seine paar Jährchen zu stopfen. Während Fomo die Furcht beschreibt dass man ein etwashaftigeres Etwas als jenes Etwas das man gerade hat, verpassen könnte. Also z.B.: Hätte ich doch lieber Vanilleeis nehmen sollen statt Schokolade… Ein eher harmloses Beispiel.
Wie auch immer. Alle funktionieren nach der binären 0 und 1, der Etwas und Nichts Denklogik. Und jeder hat verschiedene Strategien damit umzugehen.
Während die Leute auf der Fast Lane, die Draufgänger sozusagen, versuchen alle Etwasse auf einen Punkt zu konzentrieren, um die etwashaftigste Etwasheit zu erleben - und dabei oft draufgehen - so achtet der rationale Mensch oder der Realist, wie er sich wohl selbst nennen würde, auf eine ausgewogene Verteilung der Etwasse, basierend auf seinen statistischen Informationen. Er versucht sein Leben mit einer homogenen, wenn auch leicht transparenten Etwasschicht zu überziehen. Also der eine setzt auf Konzentration, der andere auf Konstanz. Und dann gibt es den Optimizer. Er will beides. Ein Hochleistungsjäger und -sammler. Er versucht mittels Statistiken, Apps und Onlinebewertungen die optimale Kombinationen von Etwassen zu errechnen, um die Wege von einem Etwas zum nächsten so kurz wie nur irgend möglich zu halten. Es gilt sich so schnell wie möglich durch die graue Masse des Nichts durchzukämpfen, um endlich an die nächste Etwas-Lichtung zu gelangen. Das Leben des Optimizers ist Stress. Ein Brettspiel dass so ausgemaxt ist, dass jegliche unerwartete Störung und Verzögerung zum collapse des kompletten Masterplans führt. Deutsche Bahn quasi. Aber es geht auch mit weniger Performance. Wer sich von euch vielleicht noch an die Parkour Boyband Move 2 Grove erinnert, der weiß dass ein Nichts einfach zu einem Etwas transmutiert werden kann. Man muss es einfach ausräuchern… wie einen bösen Geist. Aber auch hier gibts nen Haken: Das Problem hierbei ist nämlich das es langsam und unmerklich zu einem Rollentausch kommt. Das Ausräuchern (Sportzigaretten) wird mehr und mehr zum eigentlichen Etwas, während die ursprünglichen Etwasse, die sogenannten Actions, nur noch zu einer Art Währung verkommen, um sich das Ausräuchern zu verdienen. So wird aus spontaner Handlung, Zwangsaktivität, treffend zusammengefasst unter dem M2G Motto „samabealnima“ (was soviel bedeutet wie Sachen machen ist besser als nicht machen.) Jeder Addict fühlt das. Aber dann gibt es neben dem Draufgänger, dem Realist, dem Optimizer und dem Addict noch eine weitere interessante Grppe: Nonnen und Mönche. Die haben meiner Meinung nach die größten Eier von allen. Aus verschiedenen Gründen. Sie droppen aus allen stereotypischen Etwas-Nichts Definitionen heraus und suchen ihren Frieden weder in physischen Objekten (Dingen) noch Raum-Zeit Objekten (Handlungen). Das Dasein allein muss ihnen zum einzigen Etwas werden. Bei dem Gedanken daran die Füllung seiner Existenz, bzw. Erfüllung seiner Existenz hinter vier Klostermauern finden zu müssen, dürfte jeden hier vor lauter Yolo-Fomo nur so zum Schlottern bringen. In meinen Augen sind diese Leute die heftigsten Sender auf Höhe. Vielleicht romantisiere ich hier auch ein bisschen. Vielleicht sitzen die nur in ihrem Kämmerchen und leiern Rosenkranzgebete. Wie so spirituelle Fließbandarbeiter, die darauf hoffen sich irgendwann ein Haus im Himmel leisten zu können und dann endlich Nichts tun zu müssen. Das Diesseits als Nichts und das Jenseits als Etwas.
Man sieht also: Die Etwas/Nichts Problematik, die 0&1 Logik macht vor niemand Halt. Ja, man sieht sie sogar im Parkour. Keine Angst, wir nähern uns dem Ende, aber eine Parkour Metapher muss ich noch reinsqueezen, sonst wäre dieser Text nicht von mir. Die Angst vor dem Nichts sieht man ganz besonders im, ich nenne es jetzt mal modernen Freerunning, bei dem Spots so mit Tricks, also mit Etwassen zugekleistert werden, dass man von Bodenversiegelung sprechen muss. Erst wird zwischen Bewegungen die Etwas sind - Tricks die Namen haben, und Bewegungen die Nichts sind unterschieden und dann gibt es zwei Optionen: entweder man schneidet das Nichts brutal raus und hängt ein Etwas nahtlos an das Nächste, oder wenn man für diese Hochleistungsperformance nicht die Puste hat, baut man noch ein bisschen Füllmaterial in Form von lieblosen Coffeegrindern und Didirolls ein. Eine schlechte Schweißnaht. Das fühlt sich dann an als ob der Radio kurz keinen Empfang hätte und die Musik durch ein nerviges Rauschen unterbrochen wird bis wieder Signal kommt. Nichts gegen die Didiroll selbst übrigens. Sie ist nur von der 0&1 Logik instrumentalisiert worden. Heutiges Norm-Freerunning schmeckt ein bisschen wie Ketchup mit extra Salz, Zucker, Maggi und sonst nix. Jeder schlechte bis mittelmäßige Kunstkritiker würde erkennen: die Komposition atmet nicht! Doch, wenn ihr mich fragt, es gibt einen Hoffnungsschimmer. Es gibt eine Lichtung in diesem Wald aus Nullen und Einsen. Um es mit einer Pk Metapher zu verdeutlichen: Bei Renat Ardilanov - den schon zu seiner Zeit nicht so viele kannten, da er gar nicht soviele Etwasse im Bewegungsrepertoire hatte, z.B. konnte er kaum einen Cork - haben die Bewegungen zwischen den Tricks denselben Wert wie die Tricks selbst. Man kann kann hier eigentlich nicht zwischen Trick und kein-Trick unterscheiden. Göttlicher Flow. Eigentlich offensichtlich: In der Musik würde man ja auch nie auf die Idee kommen die kurze Pause zwischen den Tönen eines Liedes nicht als Teil des Liedes anzusehen. Es gilt für alles dass wir als schön und vollkommen empfinden: es besteht nicht aus Nullen und Einsen, sondern nur aus einer Eins. Die innerliche Unterscheidung zwischen 0 und 1 kreiert künstliche Objekte, die - so haben es Objekte an sich - begrenzt sind, und so zwangsläufig durch Leerraum voneinander getrennt sind. Dieser subtile 0&1 Filter der unsere gesamte Wahrnehmung färbt hat einen Namen: Materialismus - eine philosophische Haltung die davon ausgeht, das das Wesen der Realität von der Natur eines Objektes sei! Ein Gegenstand. Ein Gegenstand, dessen Anfang Big Bang genannt wird und dessen Ende bereits todsicher feststeht. Davor und danach kommt Nix. Meine Damen und Herren, ich wollte euch nicht langweilen. Ich wollte euch nur mitteilen, dass jeder geile Parkour Run die 0&1 Logik widerlegt und der Beweis ist, das der Anfang vom Ende vom Anfangenden und Endenden bereits eingeleitet wurde. Halleluja.
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