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Was ist Kunst? Oder: der undefinierte Bullshit-Magnet

Aktualisiert: 30. Juli

Einleitung

Es gibt eine weit verbreitete Meinung, die in etwa so lautet:

Kunst kann nicht definiert werden, denn jede Definition würde die Kunst einschränken. Und da Kunst frei sein muss, widerspricht eine Definition dem eigentlichen Zweck der Kunst.


Und in der Tat gibt es eine Million verschiedener Formen von Kunst, so dass es logisch erscheint, zu dem Schluss zu kommen, dass Kunst einfach nicht definiert werden kann. Doch selbst wenn es stimmt, dass es Kunst in extrem unterschiedlichen Formen gibt, ist die Schlussfolgerung, dass Kunst deshalb nicht definiert werden kann, ein Irrtum - ein Irrtum, der die Kunst nicht schützt (was er zu tun glaubt), sondern ihr sogar sehr schadet.

Und ich möchte erklären, warum:

Definieren gibt Bedeutung

Definieren gibt Bedeutung. Es wählt etwas aus dem Meer der unendlichen Phänomene aus und charakterisiert es als etwas Einzigartiges, indem es auf ein bestimmtes Merkmal begrenzt wird. Es macht es definitiv. Es zieht Grenzen um es herum, es begrenzt das Territorium seiner Bedeutung sozusagen.

Das Wort Tisch ist definiert, und deshalb weiß man, dass es zum Beispiel nicht Stuhl bedeutet. In dem Moment, in dem man sagt, dass „Tisch“ nicht definiert werden kann, kann es alles bedeuten - es kann auch Stuhl bedeuten, oder Fußball, oder Gott, oder Gras. Das zerstört das Wort buchstäblich, entwertet es völlig und macht es unmöglich, es sinnvoll zu verwenden. Der undefinierte Zustand von „Tisch“ öffnet so gut wie jedem und allem die Türen, um sich „Tisch“ zu nennen. Ein Apfel kann kommen und sich „Tisch“ nennen.

Und ich denke, dass genau das in der „Kunstwelt“ passiert - sie wird einfach mit random Stuff überflutet. Aber darauf werde ich später zurückkommen.


Es gibt einen Unterschied zwischen den beiden folgenden Aussagen:


1. Kunst kann alles sein, oder

2. Kunst kann jede Form annehmen


Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.


1) Die erste Aussage besagt, dass Kunst alles und jedes sein kann. Wenn die Buchstaben „K u n s t“ keine Grenze haben, was sie symbolisieren, können sie alles und nichts bedeuten - und damit haben die Buchstaben keinerlei Bedeutung mehr. Sie bedeuten genau so viel wie „kjsbflk“.


2) Die zweite Aussage ist ganz anders: Sie sagt nichts darüber aus, was Kunst an sich ist, sondern nur, dass sie in einer Form auftritt, welche ganz unterschiedlich aussehen kann.


Fazit:

Kunst nicht zu definieren, macht Kunst zu einem unsinnigen Wort. Kunst so zu definieren, dass die Formen, die sie annehmen kann, eingeschränkt werden, würde die Kunst beschneiden - das wollen wir auch nicht. (Das ist es, was passiert, wenn Kunst politisch benutzt und kontrolliert wird)


Aber nichts spricht dagegen, etwas zu definieren, ohne seine Erscheinungsmöglichkeiten einzuschränken.


Das ist kein Problem, das ist eigentlich eine ganz normale Sache. Wenn ich „Musik“ sage, dann hast du eine ziemlich klare Vorstellung davon, wovon wir sprechen, auch wenn du weißt, dass es jede Form von Musik sein kann, ob klassische Musik, Metal oder Jazz oder was auch immer. Du verstehst, dass Musik ein formloses Containerwort ist, das viele verschiedene Formen von Musik enthält. Obwohl es also ein klares Konzept dafür gibt, was Musik bedeutet, hat es die Musik in ihren Möglichkeiten nie eingeschränkt.


Eine Verwirrung der Kategorien

Die weit verbreitete Meinung von der Undefinierbarkeit der Kunst, von der wir ausgegangen sind, beruht also auf einer Verwechslung grundlegender Kategorien: Identität und Erscheinung.

Diese Vermischung von Kategorien ist etwas Alltägliches, sie schafft Chaos in Diskussionen über jedes Thema.


Beispiel: Als Off-Axis Flips noch relativ neu waren und noch nicht die Parkour-Norm, da wurdest du schnell als kreativer Mover eingestuft nur weil du diese Techniken gemacht hast. Aber die Kreativität steckte natürlich im Prozess der Entdeckung der neuen Achsen, nicht in den Achsen selbst drin. Hier sieht man deutlich die Vermischung der Kategorien Identität und Form, also Kreativität und die Form in der sie sich zeigt.


Kunst - der Bullshit-Magnet

Da das Verständnis von „Kunst“ als „anything goes“ weit verbreitet ist, ist Kunst in der Öffentlichkeit zu dem Ding geworden, das alles und nichts sein kann. Und deshalb ist Kunst zu DER Begriff um so ziemlich jeden Bullshit upzucyclen. Egal, was für einen Nonsens man macht, man muss es nur „Kunst“ nennen, und schon haben einige Leute eine hohe Meinung davon. Im Grunde kann man mit allem durchkommen, denn Kunst ist dieses Vakuum-Wort, und so ist es ein sicherer Hafen für alle möglichen Leute, die weder Ideen noch Fähigkeiten haben... außer dass sie sehr „artsy“ sind.


Das ist der Grund, warum ich sage: Kunst nicht zu definieren ist das Schlimmste, was der Kunst passieren kann. Es wertet sie ab und zieht echte Kunst mit sich in den Unsinn. Kunst wird von manchen Leuten oft lächerlich gemacht - klar, manchmal aus Ignoranz, aber manchmal eben auch weil diese Menschen einfach zu ehrlich, um mehr als einen Brainfart zu sehen. Und ich würde sagen, sie haben Recht, denn oft ist das, was als Kunst bezeichnet wird, nicht mehr als das: ein Brainfart, der aber vorgibt, mehr als das zu sein.


Die Aufgabe ist also klar:

Kunst auf eine bestimmte Art und Weise zu definieren, ohne die Möglichkeiten der Formen einzuschränken, die sie annehmen kann. In der Tat wäre nur eine Definition von Kunst, die unendliche Möglichkeiten der Erscheinung umfasst, richtig, wie wir später sehen werden.


Frag keinen Künstler

Nur weil Künstler (egal wie anerkannt sie auch sein mögen) den Satz „Kunst kann nicht definiert werden“ wiederholen, macht ihn das nicht weniger bedeutungslos. Ein guter Künstler ist nicht unbedingt ein guter Denker oder Kunsttheoretiker - also erwarte von Künstlern nicht, dass sie dir erklären können, was genau sie tun, auch wenn sie es gut machen.

Wieviele tatsächliche Parkour Leute haben den Satz wiederholt: Bei Parkour geht es so schnell wie möglich von A nach B zu gelangen. Und wieviele haben so trainiert? Nur weil Leute etwas tun, ist nicht automatisch gegeben, dass sie auch verstehen was sie tun.



Kunst definieren

Ist Kunst ein Etwas? Die Definition von Kunst setzt natürlich voraus, dass Kunst überhaupt etwas ist. Das bedeutet, dass sie selbst eine Art von Identität hat, also eine unveränderliche Regel, die allen Formen der Kunst gemeinsam ist.

Denn es könnte ja genauso gut sein, dass Kunst eben kein Ding ist, sondern nur ein Begriff für alle Arten von menschlichem Verhalten, das nicht kategorisierbar ist. Es könnte genauso gut sein, dass die einzige Gemeinsamkeit der Kunst darin besteht, dass sie in keine andere Kategorie passt. Dann wäre „Kunst“ nur ein Sammelbehälter für alle Arten von „Restmüll“ des menschlichen Verhaltens. So wie diese eine Random-Schublade in jedem Haus, die keine eindeutige Kategorie hat und deshalb zur Sammelstelle für lauter zufälligen Kram wird. Und das ist die Position in der sich die Kunst befindet - denn sie ist im allgemeinen Verständnis keine klare Kategorie.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass aber Kunst eben schon eine definitive Sache ist, dass es eine gemeinsame Regel hinter allen Formen von Kunst gibt - von den Höhlenmalereien bis zu Mozart. Und im folgenden Artikel werde ich einen klaren Prozess beschreiben, der meiner Meinung nach der charakterisierende Faktor ist, der allen Erscheinungsformen der Kunst gemeinsam ist.


Aber auf das Wort „Kunst“ gibt es kein Patent!

Man könnte sagen: Wer darf überhaupt einen Begriff definieren? Es gibt kein Patent oder Urheberrecht oder ähnliches auf Wörter. Das stimmt, aber das ist so, als würde man sagen: Wer darf den Begriff „Tisch“ definieren? Die Bedeutung eines Wortes ist etwas, das sich im Laufe der Geschichte organisch entwickelt. Das ist genauso wie bei "Parkour". Wenn morgen jemand ein Käsebrot als Parkour bezeichnen würde, wärst du auch skeptisch. Das Gleiche gilt für Kunst. Sie ist kein unbeschriebenes Blatt, sie ist eine historische Sache. Und es gibt Dinge, die einfach jeder als Kunst bezeichnen würde: zum Beispiel alle klassischen Künste - Musik, Malerei usw. Wir müssen uns also die unbestreitbaren Beispiele, die eindeutigen Beispiele der Kunst ansehen, um die historische Füllung des Begriffs „Kunst“ zu erkennen, und diese dann als Prototyp verwenden und daraus eine Art tiefere Struktur der Kunst abzuleiten.


Eine heikle Angelegenheit

Eine Defintion von Kunst muss sorgfältig geschehen denn sie kann dazu führen, dass einige Dinge, die früher als Kunst bezeichnet wurden, später nicht mehr als Kunst bezeichnet werden können. Die Definition muss also sehr verständlich und nachvollziehbar sein, sonst macht sie sich verdächtig eine instrumentalisierte Definition zu sein mit dem Ziel um einige unerwünschte Zweige davon abzuschneiden und Teile der Kunst, die einem nicht gefallen, zu diskreditieren. (Wie es in der Geschichte ja oft geschehen ist, z.B. aus politischen Gründen).


Eine Definition von Kunst

Die Frage ist also, wie wir Kunst definieren können, so dass wir zu einer sinnvollen Bedeutung des Wortes kommen, die das, was sie geschichtlich bezeichnete beinhaltet, aber flexibel genug ist um moderne und auch noch unbekannte Erscheinungsformen der Kunst zu umfassen.

In dem Artikel Parkour - Sport oder Kunst habe ich Kunst folgendermaßen definiert (Wie ich zu dieser Definition gekommen bin, kannst du dort nachlesen. Aber in diesem Artikel hier werde ich die genauere Bedeutung der Definition detaillierter erläutern. Und daraus wird sich denke ich auch ihre Sinnhaftigkeit zeigen.):

Kunst = Ein Ausdruckswille (a will to express), der zu einem direkten Ausdruck durch die Verwendung von Symbolen führt.


Die Bedeutung dieser Definition wird sich im Laufe dieses Artikels noch klar werden. Mit dieser Definition stelle ich die Kunst in die gleiche Kategorie wie die Sprache, da sowohl die Kunst als auch die Sprache den Ausdruck als ihre Kernfunktion haben. Also beginnen wir mal mit dem Schlüsselkonzept dieser Definition: Der Ausdruck / expression.


Ausdruck / Expression

Nur eine kurze Erklärung des englischen Begriffs von Ausdruck: „Expression“

Der Begriff kommt wortwörtlich aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie „pressing out“ oder auch „representation“. Beides deutet die Bedeutung des Wortes schon sehr gut an:


1.) Zum einen suggeriert „pressing out“ eine Richtung:


Innen → Außen


2.) Und „representation“ deutet auf eine zwei-fache Sache hin:

Etwas, das etwas anderes repräsentiert. Es gibt also einen Repräsentator und ein Repräsentiertes. Der Repräsentator ist ein Symbol, und das Repräsentierte ist das, was ich Information nenne (wir kommen später darauf zurück). Ausdruck ist der Prozess, in dem die Information (das Repräsentierte) in Symbole (den Repräsentator) übersetzt wird.


Wir können leicht beide Bedeutungen (also das „pressing out“ und die „representation“) in der Sprache erfüllt sehen:

Zum einen sollen Worte durch die Verwendung von Symbolen (Symbole können alles sein, was mit den Sinnen wahrnehmbar ist, also beispielsweise Buchstaben, Töne, Bilder usw.) nach außen kommunizieren, was wir im Inneren haben.

Zum anderen repräsentieren diese von Symbole, dann einen bestimmten subjektiven Inhalt. Das Wort „Wut“ zum Beispiel repräsentiert nur die eigentliche Sache Wut.


Inhalt

Um „Inhalt“ zu spezifizieren: Der Inhalt kann alles sein, was sich im „Inneren“, in der subjektiven Erfahrung befindet:

Es können Gedanken, Gefühle, Stimmungen, Konzepte, Ideen jeglicher Art sein. Es können Parkour-Ideen sein, mathematische Ideen, architektonische Ideen, visuelle Ideen, akustische Ideen usw. Es kann ein abstraktes Gefühl sein, es kann ein konkretes Bild sein. Und es kann eine Mischung aus all dem sein. Wir könnten auch anstelle von „Inhalt“ den Begriff „Information“ verwenden.


Wir sehen also, der Begriff Ausdruck ist sehr scharf definierbar:


Ausdruck ist die Objektivierung eines subjektiven Inhalts durch die Verwendung von Symbolen.


Oder mit anderen Worten:


Ausdruck ist das Innere*, das durch Symbole nach außen gebracht wird

Ausdruck ist in Symbole übersetzte Information.


Anmerkung: Der Begriff „innen“ ist nicht perfekt, da er sehr stark die Lokalität der Subjektivität suggeriert - auch wenn das eine jahrtausendealte philosophische Debatte ist, die bis heute nicht geklärt ist. Wenn dich das interessiert, dann recherchiere mal zum Thema „the hard problem of consciousness“).


Ausdruck ist ein Prozess

Wenn wir also zustimmen, dass Kunst auf dem Mechanismus des Ausdrucks beruht, bedeutet das automatisch, dass Kunst ein Prozess ist, der aus mindestens drei Phasen besteht:


1. Information (das, was ausgedrückt werden soll) →2. Übersetzung (Übersetzung des subjektiven Inhalts in eine objektive Form) → 3. die ausgedrückte Form (das fertige Kunstwerk)


Wenn wir also akzeptieren, dass Ausdruck das der Kunst zugrunde liegende Hauptmerkmal ist, dann bedeutet das auch automatisch: Kunst muss immer einen Inhalt haben!


Das heißt, jedes Kunstwerk muss für etwas stehen, es muss etwas dahinter stehen, denn es ist nur das übersetzte Ergebnis einer Information. Wenn nichts hinter einem Kunstwerk steht, wenn es keine Information trägt, wenn es keinen Inhalt hat, drückt es nichts aus. Es ist etwas, aber es ist kein Ausdruck. Es ist etwas, aber es ist keine Kunst.


→ Aber hier kommt eine Schwierigkeit:


Unbewusste / unterbewusste Information

Der gesamte Prozess der Kunst ist nicht immer ein bewusster Prozess und die Kunst bringt oft das Unbewusste an die Oberfläche. Aus diesem Grund kann es keine Voraussetzung dafür sein, dass etwas echte Kunst ist, dass der Künstler genau sagen kann, was er damit meint, denn es kann von einem Ort kommen, den er selbst nicht so richtig interpretieren kann.


Wie kann man also sagen, ob ein Kunstwerk ein Ausdruck ist oder nicht? Wie kann man zwischen echter Kunst und Pseudo-Kunst, einer Nachahmung von Kunst, unterscheiden? Der selbst-proklamierte Künstler kann der Frage, was seine Kunst bedeutet, immer ausweichen, indem er sagt: Ich weiß selbst nicht, was sie bedeutet, denn sie kommt aus meinem Unterbewusstsein.


Aber auch wenn der Künstler nicht einmal ansatzweise die Bedeutung seiner Kunst, also die Information, die das Kunstwerk darstellt, angeben kann, spielt das keine Rolle. Die 3 Schritte des Ausdrucksprozesses sollten immer noch deutlich sichtbar sein:


1.) Information / Ausdruckswille

Der Künstler hat also etwas in sich (Information, subjektiver Inhalt), und selbst wenn er nicht in Worte fassen kann, was es ist, muss er eindeutig einen Antrieb, einen Drang haben, seine Kunst zu schaffen - es ist der Wille, diese Information auszudrücken. (Der Ausdruckswille, the will to express) Das ist es, was die Künstler meinen, wenn sie sagen, dass sie es „herausbekommen müssen“. Es kann ein sehr starker Drang sein, den der Künstler zu erfüllen versucht, oft sogar unter großen persönlichen Opfern.


2.) Übersetzung / das Instrument

Der Künstler muss ein Handwerk erlernen, er muss über bestimmte Fähigkeiten verfügen, die für die Übersetzung erforderlich sind (z. B. ein Instrument, Schauspielerei, Bewegung usw.). Der Künstler fühlt sich in der Regel zu einem bestimmten Tätigkeitsfeld oder Instrument (Symbolsystem) hingezogen, das am ehesten in der Lage ist, den spezifischen Inhalt zu transportieren, der den Künstler antreibt. Unterschiedliche Symbolsysteme sind in der Lage, unterschiedliche Inhalte zu transportieren (weitere Erklärungen findest du in dem Artikel: Sprache und was sie ausdrücken kann). Musik kann andere Informationen vermitteln als zum Beispiel Mathematik.


3.) die ausgedrückte Form

Kunst führt immer zu einer Form. Das muss so sein, denn die Form ist das Ergebnis des Ausdrucks. Manche Künstler sagen, dass es in der Kunst nicht um das Ergebnis geht, sondern nur um den Prozess. Das kann für den Prozess des Ausdrucks nicht stimmen, denn der Ausdruck ist ein Prozess der ein Ergebnis zum Ziel hat – hätte er dies nicht, würde er sich selbst widersprechen.

Was jedoch stimmt, ist, dass das, was ausgedrückt werden soll, oft viel zu groß ist, als dass man es mit einem Bild oder einer Parkour-line verpacken könnte. Die Idee, die den Antrieb auslöst, kann so groß sein, dass es viele Jahre, vielleicht Jahrzehnte braucht, um sie vollständig zu erforschen und in all ihren Details herauszuarbeiten. Das kann dem Künstler das Gefühl geben, dass er nie fertig wird. ABER selbst wenn das, was ausgedrückt werden soll, zu groß ist, um es mit einem einzigen Werk auszudrücken, hat der Künstler immer noch eine Art Feedback-Mechanismus, der ihm sagt, dass er auf dem richtigen Weg ist.


Und das ist ein zusätzlicher vierter Schritt:


4.) Feedback

Der Künstler hat ein Gefühl der Zufriedenheit, wenn er denkt, dass seine Kunst fertig ist. Dieser Punkt tritt dann ein, wenn der Künstler spürt, dass die Form nun eine angemessene Darstellung der Informationen ist. Das ist der Moment, in dem er das Gefühl hat, dass die Arbeit getan ist, und er empfindet eine Art Befriedigung - so wie man einen Punkt am Ende eines Satzes setzt. Dieses „Ja, das ist es“-Gefühl deutet an, dass die Form nun eine angemessene Darstellung dessen ist, was den Drang zum Ausdruck gebracht hat. Das heißt, das zu Repräsentierende (die Information) wird im Kunstwerk adequat repräsentiert. Dieses Gefühl des Feedbacks stellt sich in jedem kleinen Detail eines Kunstwerks ein, aber auch in größerem Maßstab: Über viele Jahre hinweg nähert sich ein Künstler oft einer Kunstform, die er als eine immer genauere Darstellung dessen empfindet, was seinen künstlerischen Drang auslöst. Und dieser Prozess des immer-bestimmter-werdens wird von einer intuitiven Entscheidungsfindung geleitet. Es ist, als ob der Künstler mit seinem Unterbewusstsein „heiß und kalt“ spielt. Rückblickend kann man bei vielen Künstlern beobachten, dass sich ihre Arbeit immer mehr herauskristallisiert, dass sie immer mehr auf den Punkt kommt. In der Geschichte eines Künstlers kann man sehen, wann das erste Interesse an einer bestimmten Richtung geweckt wurde, gefolgt von vagen Schritten in diese Richtung und im Laufe der Jahre immer konkreter werdend, bis er zu einer kristallklaren Form der Kunst kommt, die ihn völlig zufrieden stellt. Und auf dem ganzen Weg dorthin hat er bereits kleine „es ist fertig“-Rückmeldungen, die ihm zeigen, dass er auf dem richtigen Weg ist. Oder eben "ne, das ist es nicht"-Rückmeldungen, wenn man auf dem falschen Weg ist.



Ein intuitiver Prozess:

Also auch wenn der Künstler nicht weiß, was ihn antreibt, sollte sein künstlerisches Werk dennoch diese 4 Schritte des Ausdruck-Prozesses deutlich zeigen.

Es ist nicht so, dass der Künstler die 4 Schritte bewusst durchlaufen muss, dieser ganze Prozess läuft automatisch ab. Die künstlerische Handlung wird eher von Gefühl als von im Vorraus geplanten Schritten geleitet, der Weg wird eher durch Entscheidungen nach intuitiver Präferenz als durch das Wissen um das Endziel beschritten.

Ausdruck scheint also in 4 Phasen strukturiert zu sein, ob man es weiß oder nicht. Aber das Wissen darum macht die Arbeit manchmal einfacher.


Doch in vielen Fällen ist sich der Künstler des Ziels bewusst, denn nicht jede Kunst drückt unbewusste Inhalte aus. Es hängt von der Art der Kunst und auch von der Reife des Künstlers ab (hat er seine künstlerische Arbeit gerade erst begonnen? Oder verfolgt er bereits seit 30 Jahren eine bestimmte Richtung - dann hat er vielleicht eine klarere Vorstellung davon, worum es geht).


Kongruenz zwischen Information und Ausdrucksform - ein Mysterium

Damit etwas ein Ausdruck ist, muss es eine Art der Verbindung zwischen dem Kunstwerk und der Information (was die initierende Kraft war) geben. Es besteht gewissermaßen eine Kongruenz, eine Identität zwischen ihnen. Sie sind also identisch in dem Sinne, dass das Symbol für dasselbe steht wie die Information - es sind zwei Seiten derselben Sache.


Beispiel: Ein trauriges Gemälde ist nicht die Traurigkeit selbst, aber da es aus der Erfahrung der Traurigkeit heraus gemalt wurde, ist seine Erscheinung durch das Gefühl "geformt", und deshalb gibt es eine Verbindung zwischen Form und Inhalt, eine Kongruenz, eine Identität.


Darin liegt übrigens ein ungelöstes Problem in den Wissenschaften. Sie klingt wie folgt:


Wie kann etwas völlig Subjektives und Formloses - wie ein Gefühl, eine Intuition oder ein innerer Zustand - so in eine bestimmte, objektive Form (wie einen Satz, ein Gemälde oder eine Melodie) übersetzt werden, dass die Form getreu wiedergibt, was ursprünglich gar keine Form hatte? Nocheinmal zur Veranschaulichung:

Ein Komponist empfindet einen tiefen, unbeschreiblichen Kummer. Er setzt sich ans Klavier und improvisiert eine Melodie, die sich nach Stunden genau so anfühlt wie dieser Kummer. Er hält inne und sagt: „Das war's.“ Aber was machte diese Melodie richtig?

1: Niemand hat ihm gesagt, dass die Melodie Trauer bedeutet.

2, Er konnte den Kummer nicht in Worte fassen.

3, Doch irgendwie passt die Form (Melodie) zu dem Formlosen (Trauer). Aber lassen wir dieses Rätsel beiseite und fahren wir fort.


Informationsdichte - Qualitätsmerkmal der Kunst

Nachdem wir die Kunst so definiert haben, dass der „Transport von Informationen“ ihr Hauptmerkmal ist, können wir nun noch weiter gehen und eine weitere Sache einführen, die der Kunstwelt sicherlich nicht schaden würde: Ein Messkriterium zur Bestimmung der Qualität von Kunst:


Informationsdichte

Mit Informationsdichte meine ich nicht, wie viel Information vermittelt wird, sondern wie kompakt diese Information verpackt ist, unabhängig von ihrer Menge. Das heißt: Je weniger Symbole ein Kunstwerk verwendet, um die Information auszudrücken, die es ausdrücken will, desto höher ist die Informationsdichte. Und damit auch die Qualität der Kunst. Der hohe Kunst der Kunst ist es auf den Punkt zu kommen und weder zu viel zu sagen (Verwässerung der Information), noch zu wenig zu sagen (Informationen fehlen).

In Gedichten kann man das sehr deutlich sehen: Anstatt eine Szene mit einer Auflistung ihrer unendlich vielen Details zu beschreiben, wählt ein Gedicht nur jene wenigen Wörter aus, welche die Essenz der Szene auf den Punkt bringt. Es geht also darum das Relevante zu erkennen, und das Irrelevante wegzulassen. Deshalb ist manche Kunst wirklich wirkungsstark während andere eher blass ist. Es kommt auf die Konzentration der Information an. Je mehr Geschwafel, desto schwammiger die Information. Das bedeutet aber auch, je klarer der Dichter das zu vermittelnde Gefühl (bzw. die Information) identifizieren kann, desto präziser ist auch der Feedback Mechanismus und damit seine Wortwahl.

Die Regel für gute Kunst lautet also: mit weniger, mehr vermitteln.

In anderen Worten: Informationsdichte. Informations-Minimalismus

Das ist ein Minimalismus auf Informationsebene. Dieser ist aber nicht zu verwechseln mit Minimalismus als Design-Stilrichtung, welcher sich vor allem auf reduzierte Formensprache bezieht. Beide haben zwar gemein, dass sie sich auf das Wesentliche konzentrieren, aber beim Design geht es eben meistens um Gegenstände mit Funktion (z.B. ein Stuhl, oder ein Gebäude). Daher wird die Form primär durch die Funktion des Gegenstandes definiert. Bei Kunst ist aber die Verpackung von Information die Funktion. Wenn es also der wesentlichen Information dient, kann sie auch eine ausschweifende, ausgeschmückte Formensprache verlangen. Frage: Muss Kunst „deep“ sein?

Die Aussage, dass Kunst eine Bedeutung, einen Inhalt haben muss, sagt nichts über die Art oder die Tiefe dieses Inhaltes aus. Es bedeutet weder, dass Kunst tiefgründig sein muss, noch dass enorm viel transportiert werden muss. Sie kann absolut oberflächlich sein. Die Natur und Menge der vermittelten Information ist irrelevant für die Frage, ob etwas ein Ausdruck ist. Es muss nur eine Information sein - egal wie wenig oder wie trivial. Und wenn man Fliesenmuster entwirft, ist das Kunst, WENN der Künstler einen Antrieb dahinter hat - und sei er noch so „trivial“, wie zum Beispiel, dass er einfach die Symmetrie oder harmonische Formen mag. Ein sicheres Zeichen dafür, dass es eine Verbindung zwischen dem Kunstwerk und dem Antrieb des Künstlers gibt, ist, dass der Künstler eine ehrliche Zuneigung zu seinen Kunstwerken hat - er muss sie in irgendeiner Weise lieben. Nach dieser Definition von Kunst kann also alles Kunst sein, solange es eine (direkte*) Information vermittelt.


*Ich sage direkt, denn indirekt vermitteln alle Aktivitäten etwas, aber sie sind nicht dazu gedacht, es zu vermitteln: Wenn du zum Beispiel mit deinem Hund spazieren gehst, bedeutet das wahrscheinlich, dass du ihn liebst, aber du gehst nicht mit deinem Hund spazieren, um deine Liebe für den Hund auszudrücken. Indirekt tut es das aber.


Pseudo-Kunst & Kunst-Schauspieler

Ok. Nachdem wir nun Kunst definiert haben, den Prozess dahinter, ihren Zweck und auch ein Kriterium, um ihre Qualität zu bestimmen, können wir nun einige Phänomene innerhalb der sogenannten Kunstwelt betrachten, die danach nicht der Definition von Kunst entsprechen und ihren Status als Kunst verlieren würden:

Artsy-look Kunst:

Oft ist das, was als Kunst bezeichnet wird, nur ein Kunst-Look - absolut und völlig informationsleer - es steckt nichts dahinter, kein wirklicher Inhalt, keine Idee oder bestimmte Gefühle. Kunst ist zu einem Begriff geworden, der eine Art Stil, eine Mode, einen Vibe beschreibt - genau wie Skater-Look oder Hipster-Look zum Beispiel. Einfach ein stereotypes Milieu, mit dem sich die Leute identifizieren können. Aber wenn du nicht skatest, bist du kein Skater. Egal, wie du aussiehst.


Random Kunst:

Etwas, das man an allen Kunstuniversitäten findet, oder auf den Instagram-Profilen von Kunststudenten und allen, die sich gerne „artsy“ geben. Vielleicht der klischeehafteste „Kunst“-Stil, der seinen Weg sogar ins Parkour gefunden hat wenn ihr mich fragt. Ich würde ihn als Randomness bezeichnen. Es wird angenommen, dass die Absurdität des Zufalls irgendwie künstlerisch wäre. Man kann genauso gut einen Würfel werfen. Das Ergebnis ist genauso aussagekräftig wie diese Kunst. Es ist ausdruckslos und daher keine Kunst nach meiner Definition, sondern nur „Kunst“.


Provokative Kunst:

Provokation wird als eine klassische Funktion der Kunst angesehen - und das ist natürlich so, denn ein ehrlicher Ausdruck schert sich nicht um gesellschaftliche Normen. Deshalb bricht die Kunst manchmal mit diesen Normen und wirkt dadurch auf manche provozierend. Doch diese Provokation ist nur ein Nebenprodukt - sie provoziert, weil sie Inhalte präsentiert, die manche Menschen provoziert.

Aber die klischeehafte Provokationskunst hat nichts Eigenes zu präsentieren. Sie provoziert nur um der Provokation willen. Sie ist an und für sich leer. Ich denke, dass hinter dieser Art von Pseudo-Kunst oft nur finanzielle Motive oder Aufmerksamkeitshascherei stecken, denn sie lebt meist nur von Shock-value. Sie ist nicht mehr als eine Sensations-Zeitung, die sich selbst aber als „Tolstoi“ oder so betitelt. Sie ermöglicht es den Leuten, sich ihrer Sensationslust hinzugeben und ohne sich dabei schlecht zu fühlen, oder sogar als besonders kulturell zu fühlen. Das ist keine Kunst, das ist bestenfalls eine Geschäftsstrategie.

Obskure Kunst:

Fake-Kunst ist ausdruckslos. Es überrascht mich daher nicht, dass eines der beliebtesten Themen in der stereotypen Kunstwelt dieses ist: die Obskurität.

Wenn man keinen Inhalt hat, aber so tun will, als hätte man einen, was liegt da näher, als diese Leere hinter einer geheimnisvoll anmutenden Obskurität zu verbergen. Das erweckt den Eindruck, als gäbe es einen Inhalt dahinter, auch wenn er scheinbar sehr rätselhaft zu sein scheint! Es ist ein bisschen vergleichbar mit diesen psychopathischen Gurus, die Tiefe mimen, aber nichts dahinter ist (nur ist das im Fall der Kunst natürlich etwas harmloser). Es ist nur eine Fassade des Inhalts. Ein Inhalt, der vorgibt, so tief und kompliziert zu sein, dass ihn niemand mehr deuten kann. Und wenn man den Schöpfer dieser Kunst danach fragt, was es bedeutet, wird man es wieder hören: „Es bedeutet das, was es für dich bedeutet.“

Wenn du jemals mit einem solchen Künstler sprichst, schlage ich vor, dass du ihn Folgendes fragst: „Hältst du es für möglich, dass deine Kunst überhaupt nichts bedeutet? Und hältst du es für möglich, dass du unbewusst nur ein Bild von dem, was du als „Kunst“ bezeichnest reproduzierst? Und ist es dann nicht eher eine Nachahmung als ein Ausdruck und damit das genaue Gegenteil von Kunst?“

Ich bin sicher, er/sie wird antworten:

„Man kann Kunst nicht definieren.“

Und der Kreis schließt sich.

Das wäre nach meinem Kunstverständnis also keine Kunst, sondern ein wie-Kunst-tun. Aber auf eine seltsame Art und Weise besteht hier trotzdem eine tatsächliche Kongruenz zwischen der Form und dem non-existenten Inhalt: Denn diese undefinierbare Kunst ist die perfekte Wiederspiegelung der ihr zugrunde liegenden (Un-)definition von Kunst. Ein Bedeutungsvakuum, perfekt reflektiert durch bedeutungslose Formen. Die Ironie der Geschichte

Die Ironie ist also, dass der Glaube Kunst nicht zu definieren ("...weil definieren bedeutet ja begrenzen") um die Vielfalt und Freiheit der Kunst zu schützen, genau den gegenteiligen Effekt hat und dafür sorgt, dass sich "Kunst" auf einige wenige Klischeeformen verengt. Und das macht Sinn, dass es so ist, denn bei Ausdruck ist es so:

Information definiert die Form.

Wenn jemand, der keinen ausgeprägten künstlerischen Drive hat (in anderen Worten, in ihm ist keine Information die akut zum Ausdruck drängt), aber aus welchen Gründen auch immer als Künstler gelten möchte: was bleibt ihm dann anderes übrig als sich daran zu orientieren, was gemeinhin als typisch künstlerisch angesehen wird, um das dann zu imitieren? Da steckt kein wirklicher Inhalt drin, außer vielleicht indirekt ein "ich will als Künstler gelten". Und wenn man denjenigen fragt, was seine Kunst denn bedeutet, weicht er der Frage einfach aus und versteckt sich hinter diesem Satz, der ebenso unsinnig ist wie seine „Kunst“: „Es bedeutet, was es für dich bedeutet!“

Kleine Abmilderung:

Jetzt möchte ich allerdings mein hartes Urteil etwas abmildern: Nicht alle Form der Imitationskunst basieren auf dem Versuch sich mit einem oberflächlichen Künstler-Image zu schmücken. Wer sich von der Kunst angezogen fühlt der wird wahrscheinlich bereits einen Ausdrucksdrive in sich haben. Aber der ist üblicherweise nun mal sehr vage zu Beginn und wird erst über die Jahre hinweg definitiver. Und auf dem Weg ein Künstler zu werden und auch das Handwerk zu erlernen imitiert man man halt auch gewisse Stereotypen. Das ist absolut legitim und verständlich und wahrscheinlich Teil des Prozesses. Es ist halt keine High-end Kunst, es ist eine Art Übungsform der Kunst. Aber ab irgendeinem Punkt in der Entwicklung muss die Information das Ruder voll und ganz übernehmen.

Outro

Ich würde behaupten, dass die Definition von Kunst, die in diesem Artikel dargelegt wird, sehr gesund für die Kunst ist. Und ja, sie schneidet einige Teile dessen was sich bisher als Kunst benannte ab… aber das sind Teile die niemand vermissen kann, da niemand weiß, was sie sind, da sie nichts darstellen.


Okay. Das war's also mit meiner Kunstkritik für den Moment :)

 
 
 

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